Ich werde nicht mehr alle Gruppenspiele nachholen können, deswegen werden sich die ausführlichen Analysen auf die Spiele der Mannschaften in der deutschen Turnierhälfte beschränken.
Schweiz - Frankreich 0:0
Frankreich und die Schweiz haben sich im abschließenden Gruppenspiel die Punkte geteilt, womit beide zufrieden sein können, da Frankreich so den Gruppensieg verteidigen und die Schweiz den zweiten Platz sichern konnte. Dass beide Mannschaften mit dem Ergebnis leben können, war in der zweiten Halbzeit deutlich zu sehen.
Dabei hatten vor allem die Franzosen sehr offensiv begonnen. Allein Pogba, der seine bislang beste Leistung ablieferte, aber immer noch nicht auf den Niveau ist, das man von ihm in dieser Saison bei Juventus schon gesehen hat, konnte nach zwanzig Minuten schon drei gefährliche Abschlüsse vorweisen. Zwei davon waren Distanzschüsse. Beim zweiten durfte er unbehelligt durchs Mittelfeld anlaufen und knallte den Ball an die Latte. Den ersten hatte ihm Griezmann aufgelegt, nachdem dieser von seiner linken Seite nach innen gezogen war. Diese inversen Bewegungen brachten ihn auch selbst zu Abschlüssen wie zum Beispiel in der 53. Minute, als er einen Doppelpass mit dem zurückfallenden Gignac spielte. Außerdem tauschte er oft mit dem rechts postierten Coman die Seiten. Coman hielt es konstant auf dem Flügel, das wurde besonders in der Abwehrarbeit deutlich, zu der er mit vielen Zweikämpfen am eigenen Sechzehner beitrug.
Nach der offensiven ersten Halbzeit zogen sich die Franzosen im zweiten Durchgang sehr viel weiter zurück und ließen die Schweizer kommen, denen aber schlicht und einfach die Ideen und die Risikobereitschaft fehlten. Zwar gab es lange Ballbesitzphasen für die Schweiz, allerdings fast nie mit Tempo und selten im dritten Drittel. Gefährlich wurden nur die Franzosen nach Kontern. Nach den Auswechslungen von Coman und Griezmann war es Sissoko, der die Tempogegenstöße über die rechte Seite anführte, nachdem er davor noch im Zentrum neben Pogba gespielt hatte. So bereitete er mit einer Flanke auch die größte Chance der zweiten Halbzeit vor, die der eingewechselte Payet, vom linken Flügel einlaufend an die Latte setzte.
Trotz des eher geringen Aufwands können die Franzosen ein paar Schlüsse für die K.-o.-Phase ziehen. Griezmann funktioniert zumindest im Zusammenspiel mit Gignac besser auf Links und im Zentrum gibt es mehr Optionen als Kante und Matuidi. Die Schweizer müssen im Achtelfinale endlich einen Weg finden, Chancen zu kreieren, denn an das letzte Elfmeterschießen denkt man in der Schweiz nur ungern zurück.
MVP: Moussa Sissoko
Nordirland - Deutschland 0:1 (0:1)
„Die Mannschaft“ hat das letzte Gruppenspiel gegen Nordirland trotz mangelnder Chancenverwertung hochverdient gewonnen und wird im Achtelfinale auf die Slowakei treffen. Doch auch Nordirland ist nach der knappen Niederlage in die K.-o.-Runde eingezogen und wird in einem UK-Duell den Walisern gegenüberstehen (Schiedsrichter wird übrigens ein Engländer sein).
Deutschland begann mit ein paar personellen Wechseln. Draxler fiel aus der Startelf, Gomez begann im Sturm, Götze rückte nach Links. Als Rechtsverteidiger wählte Löw mit Kimmich erstmals eine offensivere Variante. Die realtaktische Aufstellung war weder ein 4-2-3-1 noch das bislang eingesetzte 4-2-4-0 (mit Götze als falscher Neun), stattdessen war die Formation am ehesten als 2-4-1-3 bzw. 2-4-2-2 bzw. 2-4-3-1 zu beschreiben. Aufgrund der weit zurückfallenden Außenverteidiger der nordirischen Sechserkette, konnten Hector und Kimmich eine sehr hohe Grundposition einnehmen. Das erforderte im Spielaufbau ein breites Auffächern von Boateng und Hummels. Im Zentrum verband Kroos dieses große Viereck mit der Offensive. Khedira wirkte dagegen fehl am Platz und teilweise überflüssig, Weigl wäre eventuell die passendere Option gewesen. Das weite Aufrücken von Kimmich ermöglichte Müller eine zentralere Position, in der er seine Fähigkeiten als „Raumdeuter“ viel besser entfalten konnte. Götze verließ häufig seine linke Seite und tauchte rechts von Müller auf, sodass dieser noch mehr Freiräume hatte. Wenn Müller von rechts diagonal in den Strafraum zog, fiel Gomez an die Strafraumgrenze zurück.
So entstand auch der Siegtreffer (30‘), den Gomez selbst mit einer direkten Weiterleitung auf Müller eingeleitet hatte. Diese Weiterleitungen sorgten regelmäßig für weitere brandgefährliche Möglichkeiten (8‘ Özil auf Müller, 12‘ Müller per Zufall auf Götze, 23‘ Gomez per Brust auf Müller, 41‘ Özil auf Gomez). Besonders Özil, der auch häufig nach links oder halbrechts auswich, blühte in diesem System auf. Der Auftaktpass zur Weiterleitung kam nicht selten von Kimmich, der generell sehr viele Angriffe einleitete oder selbst vorbereitete (27‘ Flanke auf Müller, 52‘ Chip auf Götze, 82‘ Chip-Flanke auf Gomez). Bis zur Auswechslung von Götze in der 55. Minute konnte sich die deutsche Elf ganze zehn gefährliche Abschlüsse im Strafraum (meist zentral vor dem Tor) erarbeiten. Mit der Einwechslung von Schürrle kehrte man wieder in eine breitere Offensiv-Kette zurück, sodass im Zentrum häufiger die Anspielstationen für schnelle Kombinationen fehlten. Der Wechsel von Khedira zu Schweinsteiger (69‘) machte keinen Unterschied, beide blieben unauffällig. Defensiv wurden keinerlei Schwächen offenbart, die wenigen halbherzigen Konter der Nordiren verteidigten Boateng und Hummels durch ihre individuelle Klasse.
Nach dieser Leistung hat Kimmich gute Chancen, auch im Achtelfinale als Rechtsverteidiger aufzulaufen, weil er bei den Bayern ja auch seine Defensivqualitäten bewiesen hat. In der Offensive werden wir wohl wieder eine konservativere Formation sehen, da die Slowakei nicht durchgehend so tief verteidigen wird. Dennoch sind die Synergien zwischen Gomez, Götze, Müller und Özil nicht zu verkennen. Nordirland trifft mit Wales auf einen Gegner, der ebenfalls aus einer sicheren Defensive kommt.
MVP: Joshua Kimmich
Kroatien - Spanien 2:1 (1:1)
Mit dem Last-Minute-Sieg hat Kroatien den Spaniern nicht nur den Gruppensieg, sondern auch den damit verbundenen Platz auf der vermeintlich einfacheren Seite des Spielplans weggeschnappt. Die Kroaten spielen im Achtelfinale gegen Portugal, während Spanien in der Wiederauflage des letzten Endspiels auf die Italiener trifft.
Kroatien begann mit einem sehr hohen, aggressiven Pressing, das schon bei den gegnerischen Innenverteidigern begann. In den ersten Minuten zeigten sich die Spanier durchaus beeindruckt von dieser Herangehensweise, nutzten aber sehr bald die Lücken, die entstanden, wenn das kroatische Mittelfeld nicht energisch genug nachrückte. So entstand auch der spanische Führungstreffer (7‘). Mit einem einzigen Pass war die vorderste Reihe der Kroaten überspielt, sodass anschließend mit Tempo angegriffen werden konnte. Silva zog von rechts nach innen, spielte einen Schnittstellenpass auf den vertikal startenden Fabregas, der legte quer, Morata vollstreckte. Die Bewegungen von Silva und Fabregas waren typisch für ihr Verhalten in diesem Spiel. Silva belegte wieder einmal eine zentralere Grundposition, sodass Außenverteidiger Juanfran der einzige Spanier auf dem rechten Flügel war. Das hohe Pressing hatte jedoch nicht nur Nachteile für die Kroaten, sie erarbeiteten sich so auch zwei große Chancen. Zunächst kam Kalinic nach einem frühen Ballgewinn zum Abschluss (12‘), wenig später traf Rakitic das Aluminium doppelt, nachdem Perisic den Ball gegen Torhüter de Gea gewonnen hatte (14‘).
Die relativ häufigen spanischen Ballverluste waren dem geschuldet, dass im Spielaufbau kein Bindeglied zwischen Abwehr und Mittelfeld besteht. Das Mittelfeld rückt immer sehr weit auf und wartet auf die Innenverteidiger, die den Ball nach vorne tragen sollen (zuletzt Pique, dieses Mal häufig Ramos). Die Spanier reagierten nur geringfügig auf das Pressingsystem der Kroaten, da sie, wenn sie die vorderste Reihe erst einmal überspielt hatten, viel Raum gewinnen konnten. Im zweiten Durchgang spielte Kroatien dann sehr abwartend in einer tiefen Formation. Spanien hatte jetzt lange Ballbesitzphasen, konnte den Ball allerdings nicht wie üblich am Strafraum zirkulieren lassen, weil die Kroaten eine sehr gut funktionierende, herausrückende Mannorientierung spielten. So waren die einzig hochkarätigen Chancen der Spanier ein Kopfball nach einer Ecke (67‘) und ein Strafstoß (72‘), jeweils von Ramos. Die Kroaten kamen dagegen mit einem späten Konter über Pjaca, Kalinic und Perisic noch zum Siegtreffer (87‘).
Kroatien hat mit dem Sieg – vor allem aber mit der Spielweise – die Rolle als nicht ganz so geheimer Geheimfavorit bestätigt. Wie schon in den ersten beiden Partien waren die Kroaten taktisch perfekt auf den Gegner eingestellt. Die Spanier, welche im Gegensatz zu Kroatien mit ihrer besten Elf aufgelaufen waren, gehen nach dieser Niederlage mit gedämpfter Stimmung ins Spitzenspiel gegen Italien.
MVP: Nikola Kalinic