Vorschau
Wieder mal trifft Deutschland bei einem großen Turnier auf Angstgegner Italien und mehr denn je muss die Leistung der Squadra Azzurra anerkannt werden, der vor der EURO von vielen Experten die Favoritenrolle aberkannt worden war. Doch gleich im Auftaktspiel machten die Azzurri mit einem souveränen 2:0 gegen Belgien klar, dass mit ihnen auch dieses Jahr zu rechnen ist. Als einzige Mannschaft sicherten sie sich schon am zweiten Spieltag den Gruppensieg, sodass sie sich am letzten Spieltag gegen Irland ein 0:1 mit einer B-Elf leisten konnten. Im Achtelfinale schlugen sie Titelverteidiger Spanien in beeindruckender Manier mit 2:0 und revanchierten sich damit für die peinliche Klatsche im Finale 2012. Deutschland konnte mit vergleichsweise geringem Aufwand und ohne Niederlage den ersten Platz in der Gruppe belegen, zeigte aber erst beim 3:0 im Achtelfinale gegen die Slowakei, wie stark die Mannschaft tatsächlich sein kann.
Beide Teams stehen defensiv sehr sicher. Die deutsche Mannschaft musste noch kein Gegentor hinnehmen und die Italiener fingen sich ihren einzigen Gegentreffer beim angesprochenen Spiel gegen Irland mit der zweiten Garde ein. Während Italien in der Verteidigung sehr kompakt mit einer Dreier-/Fünferkette steht, ging Jogi Löw bislang ein kalkuliertes Risiko ein und verließ sich auf die individuelle Klasse von Boateng und Hummels. Diese riskante Herangehensweise, die man gegen Nordirland und die Slowakei gesehen hat, wird gegen die Italiener kaum angewandt werden, da diese neben Eder mit Pelle über einen Stürmer verfügen, der als Wandspieler mit seinen Ablagen gefährliche Konter initiieren kann. Generell stellt sich auf deutscher Seite die Frage, ob man nicht doch wie beim 4:1 Testspielsieg Ende März mit einer Dreierkette auflaufen sollte. Das würde die Außenverteidiger Kimmich und Hector entlasten und im Spielaufbau, dem Italien wie schon gegen Spanien mit hohem Anlaufen begegnen wird, eine zusätzliche Anspielstation schaffen. Allerdings müsste dafür ein Spieler aus der zuletzt so starken Offensive auf der Bank platznehmen. Hier ist die Grundfrage, ob die Deutschen versuchen, ihre eigenen Stärken durchzusetzen, oder sich den Stärken des Gegners anpassen.
Im Sturmzentrum hat Löw wie immer die Wahl zwischen Gomez und Götze, die gegen die robuste Dreierkette beide ihre Argumente haben. Der quirlige Götze könnte mit seinen Dribblings Verwirrung stiften, andererseits hat Gomez seine gute Form und Abschlussstärke bestätigt und kann körperlich dagegen halten. Bei den Italienern ist keine Änderung der Formation zu erwarten. Allerdings ist der Einsatz von de Rossi gefährdet, er ist verletzt. Dummerweise hat sich sein Ersatzmann Thiago Motta im Achtelfinale seine zweite Verwarnung abgeholt und ist damit gelbgesperrt. So dürfte wohl Sturaro als Sechser zum Einsatz kommen.
Das Duell der beiden viermaligen Weltmeister verspricht, ein „vorweggenommenes Finale“ zu werden. Italien konnte vom ersten Spiel an überzeugen, Deutschland hat sich kontinuierlich gesteigert, beide haben ihren Ruf als Turniermannschaft bestätigt. Jogis Jungs müssen die italienischen Konter unterbinden, sei es durch aggressives Gegenpressing wie gegen die Slowakei oder mit einer sicheren Defensive, egal ob mit Dreier- oder Viererkette. In der Offensive dürfte es schwierig werden, das italienische Abwehrbollwerk zu durchdringen, Italien hat in der Defensive ein anderes Niveau als die bisherigen Gegner. Alles in allem ist ein spannendes Spiel auf Augenhöhe mit guten Torchancen auf beiden Seiten zu erwarten.
Mein Tipp – GER 1:0 ITA
Fazit
Jogi Löw hat gegen Italien genau die richtigen taktischen Anpassungen gewählt. Dass der Sieg dennoch erst denkbar knapp im Elfmeterschießen erfolgte, war er defensiven Klasse der Italiener und letztendlich einem von Boateng verursachten Strafstoß geschuldet.
Die deutsche Mannschaft ist zum ersten Mal in diesem Turnier mit einer Dreierkette aufgelaufen, einer Formation, die schon im Testspiel im März zum Erfolg geführt hatte. Boateng gab dabei die zentrale Absicherung, während Hummels und Höwedes die Halbverteidigerpositionen belegten. Für den zusätzlichen Abwehrspieler musste Draxler weichen, Özil und Müller waren die Mittelfeldspieler hinter Gomez. Die mangelnde Spielerzahl in der Offensive gepaart mit der italienischen Defensivstärke sorgte dafür, dass die deutsche Elf in der ersten Halbzeit keine Durchschlagskraft entwickeln konnte. Allerdings war das primäre Ziel auch eher das Ausschalten der gegnerischen Stürmer und das funktionierte hervorragend. Durch die Dreierkette hatten Pelle und Eder keine Schnittstellen, in die sie hätten starten können und dank der hohen Kompaktheit gewann Deutschland nahezu jede Kopfballablage von Pelle. Gefährlich wurde es im deutschen Strafraum nur zweimal nach Fehlern von Kimmich auf der rechten Seite (31‘, 43‘).
Überhaupt war das Spiel der deutschen Mannschaft gegen den Ball sehr gut. Bei Ballverlusten eilten sofort ein bis zwei Mann ins Gegenpressing, um präzise lange Bälle von Bonucci und Co. zu verhindern. In manchen Aktionen erinnerte diese Spielweise gar an das ultra-aggressive Gegenpressing aus den Spielen gegen die Slowakei und Nordirland mit dem Unterschied, dass dahinter noch eine stabile Absicherung vorhanden war. Im zweiten Durchgang besserte sich dann auch endlich das deutsche Offensivspiel, weil die Halbverteidiger Hummels und Höwedes bei Ballbesitz sehr viel weiter aufrückten und den Mittelfeldspielern und Stürmer Gomez damit mehr Möglichkeiten gaben, nach außen auszuweichen. So zog Gomez vor dem 1:0 auf den linken Flügel, steckte durch auf den in den Strafraum durchstartenden Hector, der den Ball mit etwas Glück zu Özil brachte, der vollstreckte (65‘). Kurz darauf hatte Gomez nach Chip-Pass von Özil eine weitere hochkarätige Möglichkeit (68‘). Bis auf den Elfmeter kam Italien noch zweimal gefährlich zum Abschluss, ohne den Ball jedoch aufs Tor zu bringen. In der Verlängerung war Deutschland die aktivere Mannschaft, gerade in der zweiten Halbzeit suchten Jogis Jungs die Entscheidung, die dann aber erst nach 18 Elfmetern kam.
Gomez‘ EURO ist beendet. Zudem werden im Halbfinale auch Khedira (verletzt) und Hummels (gesperrt) fehlen. Mit aller Wahrscheinlichkeit wird Deutschland gegen Frankreich wieder mit einer Viererkette auflaufen, deren Zentrum wohl Mustafi neben Boateng komplettieren wird. Für Khedira gibt es mehrere Alternativen. Schwerer wiegt da der Ausfall von Gomez, da er der einzige echte Stürmer im Kader ist.
MVP: Mats Hummels